Das Kennenlernen der Familie meines Freundes

Liebe Follower von “Blind durchs Leben“

Ich denke es ist wieder einmal an der Zeit etwas aus dem Alltag von mir als sehende Freundin zu schreiben. Wie ihr euch vielleicht erinnert, beschrieb ich in meinem letzten Beitrag (13.02.19) wie ich Daniele meiner Familie vorgestellt habe. Nun gibt es ja auch noch die andere Seite und darüber möchte ich heute schreiben.

Das erste Treffen mit seiner Familie:
Ich denke es ist normal, dass eine gewisse Nervosität da ist, wenn man zum ersten Mal die Familie des Freundes kennen lernt. Da sind Ängste und Fragen wie: Genüge ich Ihnen? Mögen Sie mich? Was soll ich mitbringen um einen guten ersten Eindruck zu hinterlassen? Was ist, wenn wir nicht miteinander auskommen etc. Was es bei uns eben noch ein wenig schwieriger machte war, dass wir uns sprachlich nicht verstanden. Daniele ist Italiener, seine Familie spricht hauptsächlich italienisch oder französisch. Französisch weil sie in Biel wohnen und Biel ist zweisprachig, was bedeutet, dass die Kinder als Hauptsprache entweder Deutsch oder Französisch lernen. Seine Eltern entschieden sich für Französisch. Für diejenigen Leser, welche die Schweiz nicht kennen eine kurze Erklärung der Sprachregionen. Die Schweiz ist aufgeteilt in Deutschschweiz, Romandie (französische Schweiz), italienische und rätoromanische Schweiz. Da seine Eltern in der Grenzregion wohnen, auch Röstigraben genannt (Grenze zw. Romandie und Deutschschweiz), sprechen diese französisch. Bei uns in der Deutschschweiz haben wir auch Französischunterricht in der Schule (ebenso haben sie in der Romandie auch Deutsch als Zweitsprache) allerdings war es nie mein Lieblingsfach, deshalb kann ich nur sehr sehr gebrochen Französisch. Naja wohl oder übel musste Daniele eben als Dolmetscher dienen. Um einen möglichst guten ersten Eindruck zu hinterlassen habe ich vorher einige Anstandssätze bzw. Antworten auf einfache Fragen auf italienisch auswendig gelernt.

Dann war es soweit, der grosse Tag war gekommen. Wir standen vor der Tür und klingelten. Sein Vater öffnete und stellte sich sofort vor und begrüsste mich herzlich. Ebenso seine Mutter und seine Schwester sowie der Schwager. Obwohl ich eigentlich nichts verstand merkte ich schnell, dass ich willkommen war und auch, dass sie mich mochten, dafür benötigt es keine gemeinsame Sprache. Sie waren sehr gastfreundlich und warmherzig. Wir waren zum Mittagessen eingeladen und seine Mutter hatte gekocht. Nun, für jeden der noch nie bei einer italienischen Familie zum Essen eingeladen war hier ein guter Rat: Esst nicht zu viel beim ersten Gang, es folgen noch mindestens zwei weitere. Und das Essen ist super lecker. Nach dem Essen sassen wir noch ein wenig im Wohnzimmer und sein Vater zeigte mir gleich alte Fotobücher wo mein Schatz als Kind zu sehen war und auch Tanten und Onkel usw. Sie haben mich von Beginn an in die Familie miteingebunden, was sich auch zeigte indem sie mir das Baby von seiner Schwester zu halten gaben oder fragten, ob ich in den Sommerferien auch mit nach Italien kommen will. Als wir wieder gingen, brachte uns sein Vater zum Parkplatz und begutachtete noch schnell mein Auto (er arbeitet manchmal in einer Garage) und bot mir seine Hilfe an, sollte ich mal neue Reifen oder sonst etwas benötigen. Dieses Angebot nahm ich dann einige Monate später gerne an, was mich einiges günstiger wegkommen liess als wenn ich es bei meinem Garagisten gekauft hätte.
Gut so verging der Besuch und es war für alle sehr zufriedenstellend. Daniele hatte wahnsinnig freude, dass sie mich mochten und ich sie auch. Mittlerweile war ich an Taufen, Geburtstagen und anderen Feierlichkeiten dabei und habe fast seine gesamte Familie kennen gelernt. Nur in Italien war ich noch nicht mitdabei aber dass ist definitiv auf nächstes Jahr geplant. Ich fahre ungefähr 1x/Monat mit zu seinen Eltern und seiner Schwester auch um die Kinder zu sehen (mittlerweile hat der Kleine noch ein Schwesterchen erhalten und es ist spannend beide aufwachsen zu sehen). Ebenso oft, wenn nicht öfter kommt er mit zu meiner Familie.
Natürlich gab es auch gewisse Meinungsverschiedenheiten was die Hilfe angeht die mein Schatz beim Essen und anderen Alltagsverrichtungen benötigt oder eben auch nicht. Zu Beginn war sein Mami für meinen Geschmack sehr bemutternd, gerade da ich sehr darauf achte, ihm nur zu helfen wenn er mich explizit fragt. Ein Beispiel Fleisch schneiden; ich schneide es ihm nicht, ausser er bittet mich darum. Seine Mutter schnitt es ihm von Beginn an schon klein bzw. nahm ihm den Teller weg als er beginen wollte um es noch zu schneiden. Für mich war es manchmal sehr befremdlich gerade da ich ja neben ihm sass und es auch getan hätte, wenn er es benötigte. Ich fühlte mich übergangen und gleichzeitig war es auch beschämend. Ich meine wie sieht dass aus, der blinde Freund sitzt neben einem und ich helfe ihm nicht, so dass seine Mutter eingreifen muss. Mir war klar, dass er es nicht braucht, ebenso war es ihm auch immer unangenehm aber was will mann machen, es ist seine Mutter. Ich verstand auch ihre Seite, schliesslich hatte sie sich viel um ihn kümmern müssen bei all den vielen OP’s in seiner Kindheit aber jetzt war er erwachsen und selbstständig. Irgendwann kam es soweit, dass der Schwager um den Tisch kam um ihm etwas auf dem Teller zu zerkleinern und da war für mich schluss. Ich habe mit Daniele darüber gesprochen und wie ich mich dabei fühle. Er verstand dass und hat in einem guten Moment mit seinen Eltern darüber gesprochen und dass ich ihm helfe, falls nötig. Auch hat er ihnen klar gemacht, dass sie fragen sollen, ob er Hilfe benötigt oder er von sich aus fragt. Zu Beginn klappte es noch nicht so (alte Muster ablegen ist schwer) aber mittlerweile klappt es gut, es ist eben ein Ablösungsprozess, der dauert.
Obwohl ich noch nicht wirklich weiter bin mit dem Italienisch verstehe ich immer mehr um was es geht bei Gesprächen und wenn nicht, frage ich Daniele und er übersetzt mir.
Mir hat die Beziehung mit Daniele bisher sehr viel wichtiges für’s Leben beigebracht. Es ist möglich miteinander gut auszukommen ohne dass die gleiche Sprache gesprochen werden muss. Ebenso ist es möglich eine wunderbare Beziehung zu führen als Sehende mit einem sehbehinderten Freund. Die Liebe kennt keine Grenzen, es benötigt einfach ein gewisses Mass an Offenheit, Freundlichkeit, Empathie und Mut.

Vielen Dank für’s Lesen liebe Follower, darf gerne auch geteilt werden und über Kommentare freuen wir uns immer.

Eure Jenny

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